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der erste entwurf ist scheiße

(Martin Amanshauser ― Leseprobe)


auf parties stehen autoren oft mit säuerlichem grinsen in der ecke. was sie ärgert? jeder kann schreiben. unter alkoholeinfluss schwadronieren 50 prozent aller erwachsenen von jenem roman, den sie eines tages bestimmt schreiben werden. wie leicht hat es etwa ein unfallchirurg – niemand labert ihn mit wünschen wie »irgendwann möchte auch ich ein bein amputieren« an. die aura des lieb gewonnenen individualgenies liefert genügend strom für den heiligenschein jedes durchschnittsautors. unter diesen voraussetzungen wird bescheidenheit als inkompetenz ausgelegt und originelle gesprächswendungen als arroganz – denkbar üble voraussetzungen für einen partygast.

für mich bedeutet schreiben harte arbeit: ohne das klingeln eines weckers, ohne stechkartenzwang und mit der hübschen welt voller schönwetter hinter den fensterscheiben. das erfordert konstante produktivität und das sitzfleisch eines schweinskoteletts. und dann noch die störfaktoren: buchstaben, wörter, sätze, das telefon! als autor verlangt man von meinen texten spannung, mitreißende bilder, lebensechte figuren, als mensch wird ohne umschweife mein immerzurverfügungstehen im richtigen leben (»du glücklicher teilst dir deine zeit eh ein«) gefordert.

dabei gilt es zunächst, das missverständnis auszuräumen, schreiben sei einerseits romantisch und andererseits ein kinderspiel. für mich ist ein gelungener text ein exakt durchdachtes gebilde, bei dem (möglichst) jedes wort mutwillig an jenem ort steht, wo es die beabsichtigte wirkung erzielt. viele menschen – auch eine menge autoren – verwandeln ihre texte in friedhöfe und müllhalden von alltags- und tv-phrasen. die hoch- und weltliteratur spielt einem ihre abgegriffenen sedimente fast automatisch in die hand. es ist einfach, irgendetwas zu machen. aber es ist schwierig, das zu machen, was man machen will. auf welche art kann man nun literatur bzw. das schreiben von texten lehren? wohl zuerst einmal, indem man den »schülern « das allzu leichte, das naheliegende und das routiniert literarische aus der hand zu schlagen versucht.

abgesehen von einigen weithin bekannten grundregeln (sparsamer einsatz von adjektiven, bewusstmachung der figurenperspektive) gilt für mich als hauptregel: ein literarischer text muss sich von der herkömmlichen literatursprache ebenso wie vom phrasenschatz des alltags lösen und neue, unerwartete zusammenhänge herstellen. der verfasser kalkuliert dabei, welche bilder und effekte er im kopf des rezipienten hervorruft. er gleicht einem regisseur – nicht zufällig wird so oft von der »dramaturgie« von texten gesprochen.

theoretisches wissen ist für die vermittlung nötig, eine sinnvolle arbeit kann aber nur anhand von beispielen geleistet werden. der »lehrer« oder leiter eines workshops wird niemandem das schreiben beibringen. sein erstes ziel: die vorurteile der schulbildung (»der aufsatz hat beginn, hauptteil, höhepunkt, schluss«) durch einen lustvolleren zugang zu ersetzen. erlaubt ist, was funktioniert, was den leser aufhorchen lässt. und wenn es gut gemacht ist, wird ausnahmslos jeder leser aufhorchen … aufhorchen müssen.

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